Da ist Musik drin – eine vergleichende Betrachtung
Musik existiert, seit es Menschen gibt. Erste Knochenflöten fand man vor 35.000 Jahren. Gesang war spätestens für den aufrecht gehenden Homo erectus aufgrund des gesunkenen Kehlkopfes vor fast zwei Millionen Jahren mögliches Kommunikations- und Ausdrucksmittel. Das Spiel existiert ebenfalls schon seit langem, erste Hinweise auf eine frühe Spielzeugkultur geben Funde aus der frühen Steinzeit, die als Beilagen für Kindergräber dienten - speziell bearbeitete Knochen und Steine.
Doch interessiert in diesem Beitrag vor allem der Vergleich für die heutige Zeit. In der Musik unterscheidet man umgangssprachlich die sogenannte E- (ernste) und die U- (Unterhaltungs-)Musik (manchmal wird noch die F-Musik als funktionelle Musik mit einer spezifischen Funktion wie Filmmusik oder Militärmusik hinzugenommen, die hier aber außer Acht gelassen werden soll). Eine solche Klassifizierung ist vor allem auf die Verwertungsgesellschaften und die entsprechenden Rechte auf Tantiemen zurückzuführen. E-Musik gilt als anspruchsvoll, wird häufig synonym zur klassischen Musik verwendet und ist somit förderungswürdiger als die U-Musik. Diese Trennung birgt allerdings einige Ansatzpunkte für Kritik: Ist ein hochkomplexes Freejazz-Stück U-Musik? Und im Gegenzug eine leichte Operette E-Musik? Hierüber wurde und wird viel gestritten. Dennoch hat sich die Aufteilung von E-Musik und U-Musik gehalten.
Auch in der Spielewelt finden wir eine solche Zweiteilung: auf der einen Seite die sogenannten Serious Games und Lehr- und Lernspiele wie die Planspiele, die nicht nur dem Freizeitvergnügen und Zeitvertreib dienen, sondern ganz gezielt Lernziele verfolgen. Dies können beispielsweise das Erlernen komplexer Zusammenhänge, die Erprobung von Wissen und Fähigkeiten in einer fehlerfreundlichen Umgebung, das Aufzeigen von Entscheidungsprozessen und die Entwicklung von Handlungsstrategien im Team sein. Andererseits gibt es die sogenannten Gesellschaftsspiele, deren vornehmlicher Zweck Zeitvertreib und Freizeitvergnügen darstellt. Auch hier lässt sich übrigens - vergleichbar den bei E-Musik höheren Tantiemen - eine deutliche Kostendifferenz zwischen Plan- und Gesellschaftsspielen ausmachen. Bei der Paarung E-Musik und Planspiele / Serious Gaming scheint es gewisse Gemeinsamkeiten zu geben.
Das klassische Orchester (das Gleiche gilt im Übrigen auch für einen klassischen Chor) spielt für die E-Musik eine wichtige Rolle als die Institution, die größere Werke zur Aufführung bringen kann. Wenn man ein Orchester näher betrachtet, gibt es eine herausragende Funktion: die des Dirigierenden. Er ist zwar der Einzige, der im Gegensatz zu allen anderen Musizierenden nicht gehört wird, dennoch ist seine Rolle eine ganz Wesentliche. Er führt das Orchester, lässt aber jedem Individuum auch die persönliche Freiheit, sich zu entfalten und - gerade bei Soli - seine eigene Klangvorstellung zu äußern. Auch diese Rolle findet sich im Planspiel in der Form des Planspiel-Facilitators. Als „aktive Inaktivität“ beschreiben Leigh und Spindler die Aufgabe einer erfolgreichen Planspielleitung. (vgl. Leigh, E.; Spindler, L. (2004)) Nie den Überblick verlieren, wenn nötig, die Fäden in der Hand haben, aber auch laufen lassen, fließen lassen und den individuellen Teilnehmenden Raum geben.
Betrachtet man die einzelnen Gruppen eines Orchesters, so haben auch sie ihre eigenen Charaktere. Hierüber ist manches geschrieben und viel geforscht worden. So berichtet Elena Dinkevych über Ergebnisse von ersten Studien: Streicher wurden als arrogant, ruhig und feminin beschrieben, Holzbläser gelten als ruhig, intelligent und introvertiert. Im Gegensatz dazu wurden Blechbläser als extravertiert, maskulin, aggressiv und laut beschrieben (vgl. Dinkevych, E. (2012)).
Diese Gruppendynamik entfaltet sich häufig auch in den Teams, die ein Planspiel durchführen. Da gibt es die Dynamischen und Schnellen oder auch diejenigen, die etwas langsamer zur Entscheidung kommen, diese aber vorher gut durchdenken und gründlich arbeiten. Für alle diese verschiedenen Charaktere sollte es im Planspiel Raum geben, wie eben auch in einem guten Orchester.
Weitere Gedanken zu Parallelitäten von Planspiel und Musik kommen bei der Betrachtung einzelner musikalischer Gattungen. Bachs Präludien und Fugen beispielsweise sind geradezu prädestiniert für einen Vergleich mit dem Planspiel. Das Präludium als Vorspiel entspricht der Spieleinführungsphase, macht Lust auf das, was kommt und eröffnet das Stück / das Spiel. Die anschließende Fuge besteht aus dem führenden Motiv (Dux) und einer Antwort, einem Begleiter (Comes), der oft von einem Kontrapunkt der vormals führenden Stimme umspielt wird - entsprechend den Interaktionen zwischen den Planspielteams und auch zwischen Team und Spielleitung. Der Fugenaufbau besteht wie auch das Planspiel aus mehreren Phasen, den sog. Durchführungen, was wiederum den Spielphasen im Planspiel entspricht, die ebenfalls nie gleich ablaufen, sondern in Komplexität oder inhaltlichen Schwerpunkten variieren. Auch eine globalere Sicht ist denkbar: das Planspiel selbst ist dann das Präludium für die Fuge, die der erfolgreichen Umsetzung im beruflichen Kontext oder ganz allgemein: dem Lerntransfer entspricht. Wenn es dem Planspiel gelingt, die Verbindung zur nachfolgenden „Fuge“ im Alltag zu schaffen, ist dies eine harmonische Beziehung, eben wie in der Musik.
Ein anderes Beispiel ist das Rondo, häufig als Kettenrondo in der Form A - B - A - C - A …. Ein Thema wiederholt sich immer wieder, wird aber von anderen Themen unterbrochen. Im Planspiel werden in aller Regel auch Spielrunden (entspricht B, C, usw.) von Debriefphasen (im Rondo: A) unterbrochen. Diese geben dem Planspiel eine Struktur und führen immer wieder das Erlebte zusammen. Wenn man als Planspielender ein Ohr für die Musik hat und auch ein gewisses Verständnis dafür besitzt, wie klassische Musik aufgebaut ist und wie ein Orchester „tickt“, kann man Einiges aus der Musik lernen und ins Spiel integrieren.
Man kann nun sicher kritisch anmerken, dass mancher dieser Vergleiche etwas hinken. Dennoch haben Musik und Planspiel offenbar vieles gemein, viel miteinander zu tun und Musik kann ein Planspiel bereichern. Mit Musik lässt sich Spannung, aber auch Entspannung und Harmonie bewusst aufbauen oder verstärken. Die Integration von Musik in Planspiel wäre mit Sicherheit ein spannendes Forschungs- und Explorationsfeld. Vielleicht finde ich (oder eine andere musikalisch interessierte Person) dazu eines Tages die Zeit. Über eine rege Diskussion zum Thema würde ich mich freuen.
Literatur
- Dinkevych, E. (2012): Persönlichkeitsunterschiede von Orchestermusikern verschiedener Instrumentengruppen. In: Zeitschrift contra.punkt, Heft 07, 11/2012
- Leigh, Elyssebeth; Spindler, Laraine (2004): Researching Congruency in Faciliation Styles. In: Willy Kriz; Thomas Eberle (Hg.): Bridging the Gap. Transforming Knowledge into Action through Gaming & Simulation. München: Sagsaga , S. 309-317.
Birgit Zürn