Eine kurze Geschichte des Planspiels – die Entwicklung von der Antike bis in das Informationszeitalter
Der Stammbaum des Planspiels geht zurück auf Kampfspiele in Indien (v. a. das um 1000 v. Chr. entstandene "Chaturango") sowie das in Persien entstandene Schachspiel (um 800 v. Chr.). Diesen traditionellen Kampfspielen lag bereits die Idee zugrunde, die auch zum Erfolg aktueller Planspiele beiträgt: eine Möglichkeit zu schaffen, Vorgänge in der realen Welt besser zu verstehen und Entscheidungen risikofrei treffen zu können. So sollte Schach dem König zeigen, dass jeder in seinem Volke wichtig ist und einen wertvollen Beitrag leistet. Auf Basis dieser Kampfspiele entwickelten sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts die ersten einfachen Kriegsspiele, die sich in den folgenden drei Jahrhunderten mehr und mehr vom ursprünglichen Schachspiel entfernten (Entwicklung vom Schachbrett über die Landkarte hin zum Geländeprofil). Sogenannte „Sandkastenspiele“ erlaubten sowohl das Ausprobieren wie auch das Entwickeln unterschiedlicher Strategien und Taktiken. Diese risikolose Form der Manöver wurde bis heute immer weiter perfektioniert.
Die Anfänge der betriebswirtschaftlichen Anwendung solcher Methoden liegen in der Renaissance mit der Anerkennung der Gleichwertigkeit des Handlungswissens gerade der Kaufleute als Kunst (ars) in Analogie zum Bildungswissen. Kaufmannsfamilien wie die Fugger und Institutionen wie die Hanse hatten bereits vor über 500 Jahren regelrechte „Trainee-Programme“ und „Management-Förderkreise“ für den männlichen Familiennachwuchs. Dazu gehörte immer auch das Sammeln von Erfahrungen. Mit der Etablierung der Handels-(Hoch)-Schulen im späten 19. Jahrhundert wurden solche Ansätze weiterentwickelt und deutlich größeren Gruppen zugänglich gemacht. Immer wieder sind Ansätze von z. B. Übungskontoren und auch Entscheidungssituationen zu finden. Auch die ab ca. 1880 entwickelten Fallstudien fanden in dieser Zeit den Weg an die Harvard Business School.
(Computer)-Planspiele im heutigen Sinne entstanden nach dem zweiten Weltkrieg in den USA. Viele ehemalige Angehörige des Militärs machten nun in Unternehmen Karriere und suchten nach Wegen, die Potenziale von (militärischen) Simulationen auch für die Wirtschaft nutzbar zu machen. Gleichzeitig standen nun auch Computer zur Verfügung. Das erste Modell - die "Top Management Decision Simulation" - wurde hierfür 1956 von der "American Management Association" entwickelt. Parallel entwickelte sich „System Dynamics“ als Disziplin und befruchtete immer wieder gerade auch die Entwicklung wirtschaftlicher Simulationen sowohl für Prognose- wie auch für Lernzwecke. Interessant ist dabei die bis heute anhaltende Koexistienz von „händischen“ (heute spricht man von „haptischen“) Simulationen und Computerspielen. So erfreut sich das in den 1960er Jahren von Jay Forrester am MIT entwickelte „Beer Game“ bis heute größter Beliebtheit. Auch in Deutschland verbreiteten sich diese Ideen schnell. Als großer Durchbruch für die Verbreitung der Planspielidee steht in Deutschland das Jahr 1971 mit der Entwicklung von „MARGA“. Beim ersten ‚Deutschen Unternehmensplanspiel 72‘ waren 486 Teams am Start. Die Durchführungsform war ein Fernplanspiel mit dem „Datenaustausch“ per Post und der Datenverarbeitung in einem zentralen Großrechner.
Ab den frühen 1980er Jahren stand mit der Entwicklung des „Personal Computer“ erstmals ausreichend Rechenleistung auch auf einigermaßen portablen Computern zur Verfügung. Dies erlaubte die Durchführung von Planspielen vor Ort in einer klassischen Seminarform. Innerhalb kurzer Zeit entstanden weltweit kommerzielle Anbieter von Unternehmensplanspielen. Planspiele wurden ein wichtiger Baustein in der Entwicklung von Führungskräften. Größere Unternehmen gaben nun auch die Entwicklung unternehmensspezifischer Planspiele in Auftrag. Dr. Walter E. Rohn gründete 1981 die "Deutsche Planspielzentrale" (DPSZ), um die Verbreitung des Planspiels in Deutschland systematisch zu fördern und etablierte das Planspielforum als den zentralen Treffpunkt von Anbietern, Anwendern und Wissenschaftlern. Ab den 1990er Jahren professionalisierte sich die Planspielszene weiter. Rasch sinkende Preise und die steigende Leistungsfähigkeit von PCs erlaubte den Einsatz von Planspielen für immer weitere Zielgruppen. Gleichzeitig wurden die Planspiele immer mehr zu professionellen Produkten mit einheitlichen Standards und Benutzerführung, welche gerade auch durch die Etablierung von Microsoft Windows intuitiv bedienbar wurde. In der Folge erlebte die Planspielmethode nun auch in der Hochschullehre einen Durchbruch auf breiter Front. Die Etablierung von Support- und Ausbildungskonzepten durch Anbieter vervielfachte die Anzahl kompetenter Seminarleiter innerhalb weniger Jahre.
Die Zeit um die Jahrtausendwende war stark von den vielfältigen Möglichkeiten des Internets geprägt. So, wie der PC die Durchführung von Planspielen vor Ort erlaubte, konnten nun Planspiele ortsunabhängig durchgeführt werden. In der Folge fanden Planspielwettbewerbe mit teilweise fünfstelligen Teilnehmerzahlen statt und verhalfen der bisherigen Lernmethode zu einem Durchbruch, auch als Mittel der Kommunikation und zum Zweck des Recruiting. 2001 gründete sich im deutschsprachigen Raum der Planspielverband Swiss Austrian German Simulation And Gaming Association (SAGSAGA), der den wichtigsten Produzenten und Anbietern von vielfältigen Planspielen ein Forum bietet. Inzwischen existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Modelle und Planspielkonzepte. Neben einer Renaissance der Brettplanspiele erfreuen sich die Computerplanspiele in klassischen Seminaren weiter großer Beliebtheit. Die Grenzen von Serious Games und Online-Planspielen sind fließend und immer mehr werden Planspiele zum roten Faden kompetenzorientierter Lernarrangements. Planspiele werden zum Lehren und Lernen, als Mittel der Kommunikation komplexer Themen, als Mittel des Edutainments und als „Management War Game“ auch für die Entwicklung von Strategien eingesetzt. Hier schließt sich der Kreis zu den jahrtausendealten Vorfahren unserer heutigen Planspiele. Was bleibt ist das Grundkonzept: das Treffen von Entscheidungen unter Berücksichtigung einer komplexen Informationslage und das unmittelbare Erfahren der Auswirkungen.
Nils Högsdal